Für den Frieden

“Refugees didn’t just escape a place. They had to escape a thousand memories until they’d put enough time and distance between them and their misery to wake to a better day.”
– Nadia Hashimi

Schüsse, Staub, schreiende Menschen. Um mich herum brach das Chaos aus. Das Einzige, was mir noch real erschien, war die Hand, die meine hielt. Mein Vater zog mich hinter sich her und schirmte mich so gut wie möglich ab. Er schrie mir immer wieder zu, ich solle nur auf seine Füße achten, immer hinter ihm bleiben und den Kopf unten halten.


Hätte ich hochgesehen, wären mir die Verletzten und die Toten aufgefallen, genauso wie die Leute mit den Waffen, die uns wie Vieh vor sich her trieben.
Plötzlich durchfuhr meinen Arm ein Ruck der mich Straucheln ließ. Jetzt war ich gezwungen aufzusehen, denn die Füße meines Vaters waren nicht mehr vor mir. Panisch drehte ich mich im Kreis und fand ihn nur zwei Meter neben mir am Boden.
Ich konnte nun auch erkennen, warum er mich losgelassen hatte. Er hielt sein rechtes Bein mit beiden Händen fest und drückte dabei fest auf die Schusswunde, um die Blutung zu stoppen. Ich eilte an seine Seite, um ihm zu helfen, doch er sah mich mit vor Schock geweiteten Augen an und brüllte:
>> Geh nach Hause! Such´ deine Mutter. Sag ihr ich komme nach. Sie weiß was sie tun muss.<<
Ich wollte nicht gehen, konnte ihn hier nicht einfach zurücklassen. Stur wie ich war, schüttelte ich den Kopf und griff nach einem seiner Arme und versuchte ihn hochzuziehen. Doch ich war zu schwach, mit meinen 13 Jahren konnte ich kaum den Hund des Nachbarn tragen. Wütend auf mich selbst, auf meine Unfähigkeit meinen eigenen Vater zu retten, brach ich zusammen und fing an zu weinen, als ob das irgendetwas geändert hätte.
>>Verdammt, Sohn, lauf nach Hause!<< Wieder schüttelte ich den Kopf.
>>Ich hab´ Angst, Pa.<< Sein schmerzverzerrtes Gesicht entspannte sich ein wenig, als er mir eine blutverschmierte Hand auf die Schulter legte.
>>Aber diese Angst darf dich nicht lähmen, sie sollte dich stärker machen. Also, bitte geh zu deiner Mutter und macht euch auf den Weg. Sie benötigt deine Hilfe mehr als ich.<< Ich legte meine Hand auf seine und versuchte seine Worte zu verinnerlichen, doch meine Beine wollten sich einfach nicht bewegen.
>> Es tut mir leid. Ich kann nicht.<< Immer wieder wurden wir von rennenden Menschen angerempelt oder getreten, niemand nahm uns wahr.
>>Es ist okay.<<, sagte mein Vater ruhig. Das machte ihn aus, nie verlor er die Fassung, er war immer präsent. Deswegen hatte er auch diese Demo organisiert. Eigentlich sollte sie friedlich ablaufen, doch die Rebellen hatten uns förmlich überrannt.
Eine junge Frau, etwa Mitte 20 stolperte über das ausgestreckte Bein meines Vaters und fiel zu Boden. Unsere Blicke trafen sich und ich konnte genau den Moment ausmachen, als sie einen Entschluss fasste. Sie musterte den Verletzten, der sie flehentlich ansah. In stillem Einverständnis nickte sie ihm zu, sprang auf, und packte mich am Arm. Kurz krallte ich mich an der Hand auf meiner Schulter fest, doch ich rutschte wegen dem Blut ab.
Die Frau zog ich weg und das letzte Wort meines Vaters war ein simples „Danke“ an meine Retterin gerichtet.
Anfangs wehrte ich mich und sah zurück, doch mein Vater lächelte mir zu, sogar noch als ein dunkel gekleideter Mann hinter ihm auftauchte und sein Leben mit nur einem Schuss beendete.
Ich wollte schreien. So laut, dass die ganze Welt mich hören könnte, damit jeder einzelne meinen Schmerz verstand, doch ich konnte nicht. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Sogar das Atmen fiel mir schwer.
Die nächsten Minuten, wenn nicht sogar Stunden zogen an mir vorbei. Ich wusste, dass diese Frau mich noch immer mit sich zog, wohin wusste ich nicht. Wir hatten die Menschenmasse und die Schüsse hinter uns gelassen und mit jedem Schritt rückte die Nacht näher.
Ich hatte nie Angst im Dunkeln, kein einziges Mal, doch an diesem Tag war es anders. Mein Vater war nicht bei mir, wie sonst auch. Er war tot, würde also nicht kommen, um mich zu holen und nach Hause zu bringen. Als ich das erkannte, konnte ich nicht mehr. Ich blieb wie angewurzelt stehen und fing an zu schreien. Ich wusste nicht warum, aber es befreite mich von diesem Druck den ich seit dem Tod meines Vaters gespürt hatte.
>>Was soll der Scheiß?<<, zischte eine männliche Stimme irgendwo in meiner Nähe.
>>Mach, dass er aufhört, sonst entdecken die uns noch.<<
Ich spürte eine Hand, die sanft auf meinen Mund drückte.
>>Bitte, lass das sein. Ich bring´ dich in Sicherheit, aber du musst unbedingt leise sein.<< Ich wollte wirklich tun, was sie sagte, doch wieder gehorchte mir mein Körper nicht. Die Frau vor mir versteifte sich und wirbelte herum, als schwere Schritte auf uns zu kamen.
>>Nein, tu das nicht! Er ist doch noch ein Kind. Sein Vater wurde vor seinen Augen erschossen, verdammt.<< Sie hatte mich losgelassen, stand aber immer noch direkt vor mir , um mich vor einem Mann zu schützen, der bedrohlich über ihr aufragte.
>>Wenn ich es nicht tue, dann werden wir alle erschossen. Willst du das?<<
>>Natürlich nicht aber das ist einfach nicht der richtige Weg. Du wärst nicht besser als die Schweine, die uns von zu Hause weggejagt haben.<<
>>Na gut. Du willst nicht, dass ich ihn erschieße, dann trägst du die Konsequenzen.<< Er schob die Frau brutal zur Seite, während er mit dem anderen Arm weit ausholte.
>> NEIN!<< Ihr Schrei war sogar lauter als meiner, doch er half nichts. Mir wurde ein Gewähr an die Schläfe geschmettert. Nach einem kurzen, blitzartigen Schmerz, der meinen Schädel durchfuhr, sah ich nur noch schwarz. Und das ausgerechnet, als ich gerade angefangen hatte mich vor der Dunkelheit zu fürchten.

Boat_People_                      (Boatpeople aus Haiti, Foto: John Edwards, public domain, Quelle: http://www.navy.mil/view_image.asp?id=24188)

Als ich aufwachte schwankte alles. Der Boden, die Menschen um mich herum, das Wasser in den Kanistern neben meinem Kopf, der höllisch weh tat. Ich hatte keine Ahnung wo ich war oder was hier gerade passierte. Aber eins war mir völlig klar, mein Leben, wie ich es bisher kannte war vorbei.
Es war nicht immer leicht und wir hatten auch nie besonders viel Geld, aber es reichte. Doch als die Unruhen immer stärker aufkamen und die Menschen wütender wurden, veränderte sich einfach alles.
Ich versuchte mich aufzurichten, doch eine Hand auf meinem Brustkorb, die mich zurückdrückte, hielt mich davon ab.
>>Bleib liegen.<< Die Frau die mich von meinem Vater weggezogen hatte, war immer noch bei mir. Und ich wusste nicht, ob ich ihr dankbar oder doch eher wütend auf sie sein sollte, dass sie mein Leben gerettet hatte.
Ich legte meinen Kopf zurück auf die Bretter.
>>Wo bin ich?<<, fragte ich leise.
Sie zögerte, wie als wüsste sie nicht, ob sie mir die Wahrheit sagen sollte.
>>Auf einem Boot.<< Ich glaubte mich verhört zu haben, warum sollte ich auf einem Boot sein. Meine Mutter wartete Daheim auf mich und Dad und machte sich sehr wahrscheinlich schreckliche Sorgen.
>>Aber warum? Ich dachte, du bringst mich Heim. In Sicherheit!<< Mit einem von Tränen nassem Gesicht beugte sie sich zu mir hinab und sagte:
>>Es ist nirgendwo mehr sicher. Es tut mir leid. Unser Zuhause, unser Dorf, gibt es nicht mehr.<<
>>Aber meine Mom. Sie wartet auf mich ich muss zurück.<<
>>Nein, deine Mutter ist in einem anderen Boot.<<
>>Hast du sie gesehen?<< Sie sah mir nicht mehr in die Augen als sie antwortete, damals wusste ich nicht warum.
>>Ja, sie wollte unbedingt zu dir aufs Boot, aber wie du siehst, war hier einfach kein Platz mehr.<< Jetzt weiß ich, dass es eine Lüge war.
>>Wann sehe ich sie dann wieder? Und wo fahren wir überhaupt hin?<<
>> Nach Europa. Es ist ein weiter Weg aber unsere einzige Chance. Wenn wir dort sind findet ihr euch bestimmt wieder.<<
Stöhnend schloss ich meine Augen wieder. Ich wollte das alles nicht mehr sehen. Die vielen Menschen auf einem Boot, das für viel weniger Personen ausgerichtet war. Die weinenden und zum Teil auch verletzten Männer und Frauen. Dieser Schmerz, der sich auf jedem einzelnen Gesicht wiederspiegelte, den man auch in meinen Augen sehen konnte.
Verlust, Angst und Hass waren überall um mich herum.
Nur ein winziger Funke Hoffnung war zu spüren und wegen diesem Funken, waren wir hier auf diesem Boot, ohne einen Hauch von Ahnung von Navigation und dem Überleben auf dem Meer.

Hannah Frey

 

Beitragsbild: U.S. Navy photo by Photographer’s Mate 1st Class Robert R. McRill, Public domain

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