Die Killerspieldebatte – ein Kommentar von Robin Burghardt
Ich sprinte durch eine Mondlandschaft; um mich herum Schüsse, Gebrüll, explodierende Granaten, Rufe von Befehlen, sterbende Soldaten. Vor mir erscheint ein Gegner. Ich erschieße ihn. Auf dem Bildschirm erscheint 160.
Ich habe 160 Punkte für das Erschießen eines Menschen bekommen, eines virtuellen Gegners. Irgendwo auf dieser Welt sitzt gerade ein anderer Spieler von „Battlefield 1“ vor einem Bildschirm und ärgert sich, dass er, natürlich auch nur im Spiel, erschossen wurde. Viele Menschen können nicht verstehen, wie es Spaß machen kann, sich vor einen Monitor zu setzen und andere Spieler zu erschießen. Sei es „Battlefield“, „Call of Duty“ oder „Counter Strike“, um nur ein paar der populärsten Spiele zu nennen.
Aus einer Meinungsverschiedenheit ist längst ein Konflikt zwischen Spielern und Kritikern geworden. Der Ursprung dieser Debatte liegt viel früher, weit bevor Spiele so realistisch, ja nahezu echt aussahen wie heute. Sie kommt aus der Zeit, in der Computer als Spielemedium noch ganz neu waren. Als die Spiele noch nicht kopiergeschützt waren, man auf dem Schulhof damit “dealte“. Damals waren die Spiele in 8- oder 16 Bit programmiert, man schaute meistens von oben auf seinen Charakter und die Gewalt war nur bedingt spürbar. Aber man war das erste Mal selber an dem Geschehen beteiligt.
Die nächste große Weiterentwicklung war dann das erste dreidimensionale Spiel aus der Sicht des Handelnden – der sogenannten „first person“ – „Wolfenstein 3D“ (1992).

Das Spiel aber, das so populär wurde, dass ganze Nächte durchgespielt wurden, ist das 1993 erschienene „DOOM“. Es überzeugte durch seine für damalige Verhältnisse phänomenale, echte 3D Grafik und das schnelle, actiongeladene Spielgeschehen. Einfach gesagt geht es in dem Spiel darum, als ein Space Marine Dämonen zu eliminieren und dabei zu überleben. Da die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BpjS), heute Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BpjM), das Spiel jedoch für zu gewalttätig und gewaltverherrlichend hielt, wurde es 1994 indiziert. Es durfte offiziell in Deutschland nicht mehr verkauft werden. Inoffiziell blühte der Handel!

20.04.1999 – Ein Amoklauf an der Columbine Highschool in den USA.
Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die Amokläufer Außenseiter waren. Der depressive Eric Harris, einer der beiden, hatte zuvor Morddrohungen an seine Mitschüler gepostet, doch niemand beachtete ihn. Er und Dylan Klebold, der zweite, ebenfalls depressive Amokläufer, verehrten Adolf Hitler, zu dessen Ehren sie seinen Geburtstag zum Termin des Massakers wählten.
Beiden Jungen wurde auch nachgesagt, in ihrer Freizeit oft gewaltverherrlichende Computerspiele gespielt zu haben. Darauf schossen sich die Medien gerne ein. Sie gingen nicht auf die Abkapselung und Depression der beiden Amokläufer ein, sondern nahmen sich allein das Computerspiel zum Sündenbock. Zu der Zeit prägte in Deutschland die BILD Zeitung das Wort „Killerspiel“.
Dies wird, meiner Meinung nach völlig unberechtigt, auch immer wieder mit weiteren Amokläufen, besonders denen in deutschen Schulen, in Verbindung gebracht. Es wurde und wird behauptet, dass die Spiele aus den Jugendlichen Monster von Amokläufern machen. Dass diese einen großen Anteil an der Schuld tragen. Die neu eingeführte Altersbeschränkung war den Kritikern noch nicht genug, sie wollten ein komplettes Verkaufsverbot der „Killerspiele“.
Doch das wurde nicht durchgesetzt. Lediglich werden manchmal extrem brutale oder verfassungswidrige Teile von Spielen auf den Index der BpjM gesetzt, dann werden sie von den Spieleherstellern auf deutsches Recht zugeschnitten. Beispielsweise wurde der „Nazi-Zombie“-Modus aus „Call of Duty: World at War“ entfernt und die in der Bundesrepublik verbotenen Hakenkreuze durch legale Zeichen ersetzt.
Heute macht die Computerspielindustrie im Jahr fast doppelt so viel Umsatz wie die Film- und Musikindustrie zusammen. Einen nicht unwesentlichen Anteil daran haben FPS – first person shooter – die eigentlich korrekte Bezeichnung für diesen Spieletyp. Viele Kritiker behaupten immer noch stur, diese machen normale Jugendliche zu aggressiven Menschen.
Doch das stimmt so nicht. Aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen, dass man während des Spiels auch mal gereizt wird, wenn beispielsweise der gleiche Gegner einen das fünfte Mal hintereinander tötet. Aber nach dem Spielen bin ich immer noch der gleiche Mensch wie zuvor. Ich werde nicht zum Amokläufer oder zum Soldaten, nur weil ich in meiner Freizeit Spiele zu diesem Thema spiele. Genau so wird ein Spieler von Autorennspielen mit hoher Wahrscheinlichkeit nie ein Formel 1 – Fahrer oder ein Spieler eines Landwirtschaftssimulators nicht zum Bauern. Auch Personen mit einer aggressiveren Grundhaltung können diese in den Spielen eher herauslassen, als dass sie aufgestaut würden.
Persönlich verabscheue ich Krieg, könnte mir nie vorstellen, Soldat zu werden. Man sieht ja gut an der deutschen Vergangenheit oder heute zum Beispiel in Syrien, wozu er führt. Es sterben echte Menschen, Brüder und Schwestern, Söhne und Töchter, Mütter und Väter. Trauernde Familien bleiben zurück.
Aber in Spielen bestehen die Soldaten aus Bits und Bytes, Einsen und Nullen. Niemand trauert um sie, wenn sie sterben. Und – seien wir mal ganz ehrlich – spiegeln die Spiele nur wenig der Realität des Krieges wider. Sehen wir uns als Beispiel den 2016 erschienenen Shooter „Battlefield 1“ an. Er spielt zur Zeit des Ersten Weltkrieges. Wenn man sich eine Dokumentation über dieses grausame Kapitel europäischer Geschichte anschaut, so sieht man Verwundete mit durch Granaten abgerissenen Beinen, Tote durch Giftgas mit verzerrten Gesichtern und das unsagbare Leid der Soldaten, die jeden Tag in den Schützengräben um ihr Leben bangen mussten.
Spielt man dagegen „Battlefield“ findet man sich auf einem unrealistischen Schlachtfeld wieder, sprintet als Einzelgänger durch die Gegend, muss Flaggen erobern oder Sprengsätze legen und entschärfen. Der Fokus liegt also eindeutig auf dem Spielspaß und nicht auf einer realitätsgetreuen Wiedergabe des Kriegsgeschehens. Damit, so sagen Kritiker, verherrliche man Gewalt. Aber ich bin der Meinung nicht der Mensch wird vom Spiel beeinflusst, sondern das Spiel vom Menschen.
Zu Gewalt verleiten FPS nicht, sie geben höchstens schon vorhandener Gewalt einen Ort sich zu entladen.

Laut verschiedenster Studien haben Shooter sogar positive Effekte. Sie fördern, so eine Untersuchung der Universität Leiden, zum Beispiel das Reaktionsvermögen. Die Empathie der Probanden hingegen verschlechtert sich nicht, so ein Experiment der Medizinischen Hochschule Hannover. Hierbei wurden ihnen schlimme Bilder beispielsweise mit hungernden Kindern gezeigt, welche sie nach Grausamkeit bewerten mussten, was sie nach dem Spielen nicht anders taten als davor.
Ich bin der Meinung, dass der Killerspieldebatte viel zu viel Bedeutung zugemessen wird und stattdessen mehr auf die wirklichen „Onlineprobleme“ der Gesellschaft, wie etwa Cybermobbing, hingewiesen werden müsste.
Im Jahresbericht der Schule wird fast jedes Jahr Werbung für die Bundeswehr publiziert. „Werben fürs Sterben.“ Ich bin mir jedoch sicher, dass, wenn Electronic Arts Werbung für „Battlefield“ schalten wollte, dies nicht erlaubt werden würde.