Nachdem wir euch in der Ausgabe „Fantasie“ (Juli 2018) mit Karl Marx und König Ludwig II. unter dem Titel „Zwischen Ideal und Größenwahn“ zwei historische Persönlichkeiten und ihre Visionen beziehungsweise Fantasien vorgestellt haben, folgt hier nun als dritter Teil Hitlers Traum von einer Welthauptstadt Germania.
Titelbild: Nord-Süd-Achse Germanias, Quelle: Bundesarchiv, Bild 146III-373 / CC-BY-SA 3.0, Bundesarchiv Bild 146III-373, Modell der Neugestaltung Berlins („Germania“), CC BY-SA 3.0 DE
Geplant von Albert Speer, „Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt“ (GBI), sollte „Germania“ auf dem Gebiet Berlins die Hauptstadt eines „Großgermanischen Reiches“ werden und so den Nationalsozialismus in aller Welt repräsentieren. Des Weiteren sollte die Stadt auch durch den Namen ideologisches Bindeglied zwischen den „germanischen“ Völkern bilden, auch wenn diese weit verstreut lebten. Dem antiken Baustil nachempfunden sollte „Germania“ mit prächtigen Bauten das Gegenteil moderner Städte sein, an denen Hitler das Fehlen von Wahrzeichen und monumentalen Bauten kritisierte.
Die Bauarbeiten begannen 1938, also fünf Jahre nach Hitlers Machtübernahme und endeten 1943 aufgrund von kriegsbedingtem Geld- und vor allem Materialmangel. Geplant waren eine Nord-Süd- sowie eine Ost-West-Achse. Die fünfzig Kilometer lange, auch „Via Triumphalis“ genannte Ost-West-Achse sollte durch Berlin von weit im Westen der Stadt über den Großen Stern verlaufen, an dem heute die Siegessäule steht , über das Brandenburger Tor und Unter den Linden in den Osten zum Frankfurter Tor führen.
Die Nord-Süd-Achse sollte eine Länge von 40 Kilometern aufweisen und war als Einzugs- und Aufmarschstraße für Paraden gedacht. Ein riesiger „Triumphbogen“ sollte sich am südlichen Ende der Achse bei einer Breite von 170 Metern zu einer Höhe von 117 Metern erheben, der sämtliche Namen der gefallenen Soldaten im 1. Weltkrieg als Aufschrift zum Gedenken tragen sollte. Um die Bodenbelastbarkeit auszutesten wurde ein 12,5 Tonnen schwerer Betonklotz gebaut, der 14 mal 21 Meter groß war. Kernstück der Achse sollte eine sechs Kilometer lange und 120 Meter breite Prachtstraße werden, deren Verlauf von einem neu errichteten Nordbahnhof in Moabit nach Tempelhof, zu einem ebenfalls neu erbauten Südbahnhof geplant war. Am nördlichen Ende platzierte Speer das Zentrum der Welthauptstadt, die „Große Halle“. Es sollte das mit Abstand größte Kuppelbauwerk der Welt werden und eine Grundfläche von 315×315 Meter mit einer Höhe von 320 Metern kombinieren. Als Versammlungsort für bis zu 180.000 Menschen sollte Hitler dort für seine Auftritte und Reden dienen. Den Vorplatz sollte der Reichstag, das Dienstgebäude des Oberkommandos der Wehrmacht und die „Führerwohnung“ mit der Reichskanzlei als Dienstgebäude umranden.
In Modellen verschluckt die „Große Halle“ ihre Umgebungsgebäude förmlich, wer schon einmal vor dem Reichstag war, weiß, wie groß dieser auch mit „nur“ 47 Metern Höhe
erscheint. Der Platz war als Aufmarschgebiet für bis zu eine Millionen Menschen gedacht, das entspricht ungefähr der Einwohnerzahl Kölns. Um den Baumaßnahmen genügend Platz zu verschaffen, hätten ca. 50.000 Wohnungen abgerissen werden müssen, wovon ungefähr 150.000 Menschen direkt betroffen gewesen wären. Außerdem beabsichtigten Speer und seine Behörde die „Entjudung“ der Stadt, um frei werdende Wohnungen für eigene Zwecke, wie die Einquartierung von hohen Parteimitgliedern und Personen die am Bau beteiligt waren, zu nutzen. Hitler forcierte die Verwendung von Granit als Baumittel, da er glaubte, dass aufgrund der Standfestigkeit des Materials die Bauten noch in 10.000 Jahren stehen würden. Für die erforderliche Beschaffung des Granits mussten Zwangsarbeiter aus den Konzentrationslagerns „Flossenbürg“ und „Mauthausen“ Steinquader bereitstellen. Auch für die Bauarbeiten selbst waren von vorneherein Zwangsarbeiter eingeplant, da „arische“ Männer vorwiegend als Soldaten gebraucht wurden.
Germania ist eines der Beispiele, an dem die gigantomanischen Vorstellungen Hitlers am deutlichsten werden. Hätten Hitler und Speer, trotz aller logistischen und kriegsbedingten Probleme tatsächlich die Möglichkeit zur Umsetzung gehabt, sähe Berlin heute ganz anders aus. Doch den größten Stolperstein stellten sich die Nationalsozialisten mit dem entfachten Weltkrieg selbst.
Noel Boldin und Sebastian E. Bauer, 9a