Interview mit Anton Hofreiter

Wir haben mit Dr. Anton Hofreiter, dem Vorsitzenden der Bundestagsfraktion „Bündnis90/Die Grünen“, im Zuge einer Lesung aus seinem Buch „Fleischfabrik Deutschland“ gesprochen. Einen sehr lesenswerten Artikel zu der Lesung und der anschließenden Diskussion findet ihr hier. Das interessante Interview mit dem Spitzenpolitiker folgt nun.

Titelbild: Foto: Robin Burghardt

Herr Dr. Hofreiter, mit dem Buch „Fleischfabrik Deutschland“ sprechen Sie ein Thema an, welches viele Menschen bewegt. So richtig in der öffentlichen Diskussion ist es aber nicht. Denken Sie, dass die Gesellschaft wieder politischer werden sollte?

Ich glaube, dieses Thema wird regional sehr unterschiedlich diskutiert. Zum Beispiel in Niedersachsen oder Niederbayern, wo sehr viele Schlachthöfe und Megaställe stehen, ist es sehr stark in der Diskussion. Es wäre aber auf jeden Fall richtig und wichtig, wenn sich die Menschen noch intensiver mit dem Problem beschäftigen würden, da es aufgrund von verschmutztem Grundwasser und z.B. von Antibiotika verseuchtem Fleisch die Menschen nicht nur regional betrifft.

Aber glauben Sie grundsätzlich, dass die Bevölkerung wieder politscher werden sollte, nicht nur was dieses Thema betrifft?

Es wäre wünschenswert, da wir uns gerade in einer Umbruchsphase befinden. Wir haben ja das große Privileg, in einer Demokratie leben zu dürfen, und in einer Demokratie ist es wichtig, dass sich alle Menschen informieren und sich mit der Politik auseinandersetzen.

Kommen wir nun zu einem anderen Thema. In Bayern, wo die CSU sehr stark ist, war es ja klar, als Sie in die Politik gingen, dass Sie mit den Grünen in der Opposition sein würden. Hat Sie das nicht in gewisser Weise abgeschreckt?

Na ja, ich war ja zuerst im Gemeinderat (im Ort Sauerlach bei München) und im Kreistag (Landkreis München), und dort waren die Mehrheitsverhältnisse nicht so eindeutig; in der Kommunalpolitik hat man außerdem auch einiges erreichen können. Jetzt sitze ich ja im Bundestag und da sind die Mehrheitsverhältnisse ebenfalls nicht so eindeutig und die Grünen haben auch die Chance, an die Regierung zu kommen. Die CSU ist im Bundestag zum Glück nicht so besonders groß.

Zum Thema Staatstrojaner und Vorratsdatenspeicherung. Sie haben sich ja schon des Öfteren gegen so etwas ausgesprochen. Haben Sie bessere Vorschläge, wie man dem Terrorismus besser vorbeugen könnte, oder denken Sie, dass Deutschland keine erweiterten Maßnahmen braucht?

Man begründet diese Maßnahmen ja mit Terrorbekämpfung, aber das ist Quatsch. Wenn man sich die Anschläge der Vergangenheit mal anschaut, wurden fast alle Taten von Menschen begangen, die bereits polizeibekannt waren. Deshalb halte ich nichts davon, unbescholtene Bürger/innen mehr zu überwachen. Eher brauchen wir genügend, gut ausgestattete Polizei, um die wirklichen Gefährder besser zu überwachen. So war auch der Terrorist, der in Berlin zugeschlagen hat, polizeibekannt und nur durch bisher ungeklärtes Versagen der Behörden war es ihm möglich, einen Anschlag zu verüben.

Machen wir einen großen inhaltlichen Sprung und kommen wir zu G20. Was halten Sie davon, dass sich die neunzehn wichtigsten, ökonomischen Staaten und die EU treffen, um über Entscheidungen zu beraten, welche die gesamte Welt betreffen?

Ich halte grundsätzlich viel davon, dass Regierungen miteinander sprechen, auch wenn schwierige Regierungen wie Saudi-Arabien, Russland oder auch die Türkei dabei sind. Aber das Hochproblematische ist, dass gerade die ärmeren Länder ausgeschlossen werden. Besser wäre es, wenn das Ganze unter dem Schirm der UN geschehen würde. Was auch sehr problematisch ist, dass G20 immer viel verspricht, zum Beispiel zur Klimapolitik, zur Handelspolitik oder zur Bekämpfung von Armut. Am Ende wird dann aber nichts davon eingehalten.

Beim Klimaschutz werden sich im Rahmen der Mobilität verschiedenste Änderungen einstellen, auf welche Einschränkungen werden sich die Bürger der Bundesrepublik einstellen müssen, in den kommenden Jahren?

Ich glaube, dass wir angesichts dessen, was wir technisch bereits können, gerade im Bereich der Mobilität auf gar nichts verzichten werden müssen. Wenn man kluge Änderungen einführt, hätte man im alltäglichen Leben sogar große Vorteile. Wenn wir die Autos mit Verbrennungsmotoren auf wasserstoff-elektrisch oder batterie-elektrische Antriebe umstellen würden, gäbe es keine Luftverschmutzung vor Ort mehr, wir hätten weniger Lärm, wir hätten, wenn wir die Stromversorgung noch umbauen würden, deutlich weniger Klimagase. Wenn wir die Eisenbahn ertüchtigen würden, wenn man dort ein besseres Platzangebot schaffen würde, wenn sie pünktlicher und günstiger wäre und wenn die Leute nicht mehr so sehr auf ihr Auto angewiesen wären, könnte man mehr Platz zum Leben in der Stadt schaffen. Ich glaube, dass man gerade im Bereich der Mobilität mit klugen Veränderungen viel mehr Lebensqualität für alle schaffen könnte, auch wenn sich das manche noch nicht vorstellen können.

Was erhoffen Sie sich von der Bundestagswahl 2017?

Ich erhoffe mir, dass die Rechtspopulisten und Rechtsradikalen nicht im Bundestag vertreten sein werden. Ich sehe immer noch die Chance, die AfD unter die Fünf-Prozent-Hürde zu kriegen, und deshalb erhoffe ich mir, dass viele Menschen zur Wahl gehen werden und demokratisch wählen. Des Weiteren erhoffe ich mir, dass die Grünen ein starkes Wahlergebnis einfahren werden und dass wir die Chance haben, an die Regierung zu kommen, um ökologische Forderungen, wie z.B. den Ausstieg aus der Energiegewinnung mit Kohle, Mobilitätsfragen und andere Dinge durchsetzen zu können.

Gibt es Koalitionen, die Sie sich die Grünen überhaupt nicht vorstellen können?

Was wir uns auf gar keinen Fall vorstellen können, wäre eine Koalition mit der AfD. Außerdem können wir uns keine Koalition vorstellen, die einfach so weiter macht wie bisher. Wir sind dann bereit eine Koalition reinzugehen, wenn es einen echten Politikwechsel gibt. Unter diesen Bedingungen sind wir bereit mit allen demokratischen Parteien zu koalieren.

Würden Sie da eine eher linksgerichtete Koalition bevorzugen?

Uns allen wäre es am liebsten, wenn es zu Rot-Grün langen würde, aber danach schaut es bisher nicht aus und „Die Linken“ sind nicht ganz einfach, wenn man an Europa oder internationale Verpflichtungen denkt, ebenso die CSU, gerade wenn man hört, was Söder oder Scheuer über Ausländer bzw. Flüchtlinge sagen.

Was würden Sie mit den 19 Milliarden Euro Haushaltsüberschuss machen?

Wir würden damit für ausreichend Wohnraum in den Städten sorgen, ausreichend Kita-Plätze schaffen und so die Familien entlasten. Außerdem müssen das Verkehrsnetz modernisiert und die Angebote des öffentlichen Verkehrs verbessert werden.

Des Weiteren würden wir den Klimaschutz fördern, da geht es um die Rettung unserer Lebensgrundlagen. Wir würden auch die Investitionstätigkeit auf europäischer Ebene ankurbeln.

Was ist Ihre Vision für Deutschland in 30 Jahren?

Meine Vision ist, dass Deutschland weiterhin ein hochgeachtetes Mitglied der Europäischen Union ist, dass wir mit dem Umbau auf erneuerbare Energien einen Exportschlager entwickeln. Außerdem will ich eine Landwirtschaft, bei der es den Bauern als auch den Tieren gut geht. Ich will eine Bildungspolitik haben, die dafür sorgt, dass alle Menschen nach ihren Bedürfnissen und Talenten und nicht danach, was ihre Eltern für Möglichkeiten haben, ihre Chancen erhalten. Des Weiteren ist mir wichtig, dass wir keine Waffen mehr in Kriegsgebiete exportieren, dass wir faire Handelsverträge haben, dass unsere Produkte nicht nur nach Produktqualität, sondern auch nach Prozessqualität beurteilt werden. Und ich will ein solidarisches Deutschland – kein Mensch soll sich ausgeschlossen fühlen.

Sie sprachen gerade an, dass wieder deutlich mehr Menschen das Gefühl haben sollen, in der Gesellschaft integriert zu sein. Jetzt arbeiten im Moment über 20 Prozent der Menschen in Deutschland im Niedriglohnsektor, das heißt, sie verdienen unter ca. 11 € brutto die Stunde. Ein Großteil der Reformen, welche unter Rot-Grün von 1998 bis 2005 getroffen wurden, hat dazu geführt, dass sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt drastisch geändert hat. Warum sollte man die Grünen wählen, wenn man weiß, dass Maßnahmen ihrerseits genau dazu geführt haben?

Wir haben auch Reformen durchgeführt, die etwas sehr Positives bewirkt haben, darunter der Ausbau Erneuerbarer Energien oder die Gleichstellung von Homosexuellen sowie von Mann und Frau. Aber es stimmt, bei Hartz IV ist Einiges schiefgegangen, es gab auch Fehlentwicklungen. Da muss man nun nachsteuern. Deshalb muss man den Mindestlohn weiter stärken, deshalb muss man im Bereich Werksverträge/Leiharbeit etwas zurückdrehen und das Tarifsystem und die Gewerkschaften weiter stärken. Aus damaliger Sicht erschien alles richtig, aber da gab es Fehlentwicklungen und da hat man auch Fehler gemacht, aber Fehler passieren, wenn man Vieles verändert und die muss man jetzt korrigieren.

Vielen Dank, dass Sie sich für das Gespräch Zeit genommen haben.

Artikel: Noel Boldin;

Interview: Noel Boldin, Sebastian E. Bauer, Patrick Domke, Robin Burghardt

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