Wenn wir an Politiker denken, dann meist an solche, die in den großen Medien präsent sind, an die Mitglieder der Bundesregierung, vielleicht auch an Ministerpräsidenten. Weniger im Licht der Öffentlichkeit arbeiten oft Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker und bewegen Dinge, die uns im Alltag sehr direkt betreffen. Anlässlich unseres Titelthemas „Helden“ sprachen wir mit dem neuen und jüngsten Oberbürgermeister Schwabachs, Peter Reiß, über seine Arbeit.
Warum engagieren Sie sich politisch?
Ich habe 2008 begonnen, mich politisch bei den Jusos zu engagieren, das ist die Jugendorganisation der SPD. Damals fand ich, dass manche Dinge nicht so laufen, wie ich es mir vorstelle. Ich dachte mir dann, wenn man mitreden will, könnte man sich doch engagieren. Dass es die Jusos geworden sind, liegt wohl daran, dass mir das Soziale in der Gesellschaft immer wichtig war und immer noch wichtig ist. Im Laufe der Jahre und der Zeit ist das Engagement dann mehr geworden und letztlich in mein jetziges Amt gemündet. Es ist mir wichtig, etwas zu tun und sich auch einzumischen, wenn man Meinungen und Ideen hat.
Wie genau war dann Ihre Laufbahn? Wie schafft man es zum Oberbürgermeister?
Ich bin der Meinung, man sollte sich nicht engagieren, weil man eine bestimmte Funktion anstrebt. Aber wenn man etwas tut, das in der Stadtgesellschaft oder der Zeitung Gehör findet, dann kommt früher oder später jemand auf einen zu und fragt: „Würdest du nicht?“ Das ist natürlich alles mit Arbeit und Aufwand verbunden. Ich bin dann Vorsitzender der Schwabacher Jusos geworden, hab mich auch mehr im Schwabacher SPD-Vorstand engagiert und bin dann erst stellvertretender Vorsitzender und später Vorsitzender geworden. 2014 bin ich dann in den Stadtrat gewählt worden. Das ist erstmal ein unglaubliches Vertrauen von den Schwabachern und Schwabacherinnen, aber auch eine unglaublich tolle Möglichkeit, Sachen mitzugestalten. Irgendwann kam dann auch die Frage der Oberbürgermeisterkandidatur auf. Das war natürlich eine unglaubliche Chance, die eigene Stadt voranzubringen.
Haben Sie sich um die Kandidatur aktiv bemüht oder kamen da Parteimitglieder auf Sie zu?
Sagen wir es mal so: Es kamen durchaus Personen auf mich zu, aber es kristallisiert sich durch das, was man tut, auch ein bisschen schon vorher raus. Für mich ist das Vertrauen, das mir entgegengebracht wird, jedenfalls eine riesige Ehre, auch wenn es „nur“ um die Kandidatur geht.
Das Rathaus ist der Arbeitsplatz des Oberbürgermeisters. Quelle: siehe unten
„Die meiste Zeit spricht man mit Leuten.“
Jetzt sind Sie Oberbürgermeister. Was macht eigentlich ein Oberbürgermeister? Jeder kennt das Amt, aber nicht alle haben wirklich eine Vorstellung von dem, was er machen muss.
Vielleicht kann man damit beginnen, was er am allerwenigsten tut. Man denkt sich vielleicht, ein Oberbürgermeister sitzt den ganzen Tag in seiner Amtsstube und brütet über Satzungen und Verordnungen. Das tut er unmittelbar aber am allerwenigsten. Die meiste Zeit spricht man mit Leuten, spricht mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und Führungskräften. Man schaut, dass man sich in allem, was die Stadt betrifft, auskennt, auch wenn es natürlich für vieles Fachleute gibt. Man sorgt im Prinzip dafür, dass man den Laden zusammenhält. Auch, dass man die richtigen Leute da einsetzt, wo sie gebraucht werden, ist wichtig. Man ist auch das Bindeglied zwischen Bevölkerung und der Verwaltung und muss dafür sorgen, dass Stimmungen in der Stadt in die Verwaltung transportiert werden. Das ist bisher aber meine persönliche Interpretation. Jeder Oberbürgermeister oder Bürgermeister in den Gemeinden kann das ja ein Stück auch selbst definieren. Stadtoberhaupt zu sein, bedeutet, dass man ja auch selbst definieren kann und darf, wie man das Amt ausführt.
Wie viel Zeit beansprucht Ihre Arbeit? Ist das ein Job mit geregelten Arbeitszeiten oder eher ein 24-Stunden-Job?
Da gibt es keine eindeutige Antwort. Es ist auf jeden Fall kein 40-Stunden-Job, bei dem man zu Hause das abstreifen kann, was man so am Tag mitbekommt. Aber es ist natürlich schon so, dass ich eine Familie und Hobbys habe, denen ich nachgehen kann und möchte, ohne jede Sekunde grübeln zu müssen, wie man ein Problem löst. Es gibt immer Tage, bei denen man zeitlich ziemlich gefordert ist und andere, bei denen man das Gefühl hat, jetzt läuft es einigermaßen.
Wofür braucht man aber wirklich Kommunalpolitiker? Sie haben ja schon Ihre Aufgaben beschrieben, aber es gibt ja auch Bundes- und Landespolitiker. Könnten die das nicht machen?
Ich finde, das sind zwei ganz unterschiedliche Typen von Politikern. Auch hier ist natürlich jeder frei in der Mandatsausübung, aber ein Bundestagsabgeordneter oder Landtagsabgeordneter, der ist vor allem ein Sprachrohr für eine bestimmte Meinung. Der versucht mal zu beschwichtigen, mal zu polarisieren und gesellschaftlich ein Thema in seinem Sinne zu besetzen und auch unmittelbar durch Gesetze zu ändern. Als Oberbürgermeister ist man qua Amt parteimäßig neutral, anders als ein Abgeordneter. Natürlich hat man Vorstellungen, in welche Richtung man sich die Entwicklung der Stadt vorstellt, aber ist weniger in der Parteipolitik drin. In meiner Wahrnehmung geht es eher darum, aus unterschiedlichen Meinungen einen Kompromiss zu formen. In Schwabach haben wir eher einen konsensorientierten Stadtrat, ohne Regierung und Oppositionsrollen.
Viele denken bei Politikern an Bundestagsabgeordnete oder die Bundeskanzlerin. Es sind aber oft die Entscheidungen der Amtsträger vor Ort, die unser Leben sehr direkt beeinflussen. Quelle: pixabay.de
„Diese neue Dimension gibt einem schon zu denken.“
In den letzten Jahren ist psychische und physische Gewalt gegen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker, aber auch Politikern im Allgemeinen, in den Medien präsenter geworden.Sind Sie selbst da schon Opfer von Hetze oder gar Gewalt geworden und glauben Sie, dass das in letzter Zeit zugenommen hat?
Ich bin ja erst sehr kurz in dem Amt. Was ich schon zuvor in meiner Stadtrats- und parteipolitischen Tätigkeit wahrgenommen hab, ist, dass es in den letzten Jahren zunehmend Beschimpfungen gab. Eher in der Form, dass man mal im Briefkasten irgendeinen Schrieb gehabt hat, in dem man schlicht beleidigt wird. Was ich überregional eher verstärkt wahrgenommen habe, ist diese echte Bedrohung. Das sind die verschickten Pistolenkugeln, das verschickte Messer mit Todesdrohungen. Diese neue Dimension gibt einem schon zu denken.
Wie gehen Sie persönlich damit um? Hat das einen Einfluss auf Ihre Arbeit?
Meine Entscheidungen darf es nicht beeinflussen, finde ich. Es ist auch nicht so, dass ich jetzt unruhig schlafe, aber es ist auch nichts unbedingt Angenehmes. Hinter jedem Politiker steckt ja auch ein Mensch und niemand wird gerne beleidigt oder bedroht. In meiner Wahrnehmung ist es dann fast noch schlimmer, wenn es um das Leben der eigenen Angehörigen geht, weil die eigene Familie unter der Bedrohung der eigenen Funktion leiden könnte.
Glauben Sie, dass die Bedrohungslage durch die sozialen Netzwerke verstärkt wird, oder ist das aus Ihrer Sicht eher ein Narrativ der Medien?
(Überlegt) Naja, was durch die vermeintliche Scheinanonymität deutlich niedriger geworden ist, ist die Schwelle, jemanden zu beleidigen. Das ist natürlich wesentlich einfacher, als jemandem einen Brief zu schreiben. Man sieht aber schon, dass die ganz schweren Bedrohungen doch meistens auf den klassischen Wegen erfolgen. Nach meiner Wahrnehmung erhält man die schlimmsten Bedrohungen tatsächlich per Brief. Wenn der an die Privatanschrift geschickt wird, will man halt deutlich machen, dass man weiß, wo jemand wohnt. Das ist das wesentlich Bedrohlichere, finde ich.
Sehen Sie einen Grund, weshalb das in letzter Zeit so zugenommen hat?
Tja, wenn ich darauf eine allgemeingültige Antwort hätte… Ich glaube, es suchen jetzt viele eine solche Antwort. Wenn ich es richtig verfolgt habe, ist jetzt das Demokratieförderungsgesetz im Bund in den letzten Zügen. Da geht es darum, Initiativen, die sich in dem Bereich starkmachen, zu unterstützen. Das finde ich grundsätzlich mal einen guten Ansatz. Ansonsten ist natürlich die Hemmschwelle gesunken, aber ich finde immer eher die Frage wichtig, was der Anlass ist. Da weiß ich wie gesagt auch nicht, ob ich eine allgemeingültige Antwort spontan parat habe.
„Man braucht beides, Bewegungen und Parteien.“
Dann kommen wir zu einem anderen Bereich, zum Engagement von Jugendlichen in Parteien. Sie sind ja selbst noch relativ jung, der jüngste Oberbürgermeister Schwabachs. Aber allgemein kann man schon sagen, dass die Parteien einen Mitgliederschwund haben, vor allem bei der jüngeren Bevölkerung. Was glauben Sie, warum engagieren sich die Jugendlichen heute weniger in den Parteien?
Ich habe so ein bisschen das Gefühl, dass das eine ganze Zeit lang deutlich weniger geworden ist, aber in den letzten Jahren wieder zugenommen hat. Jugendliche engagieren sich in anderen Formen wie zum Beispiel bei Fridays For Future. Ich glaube, man engagiert sich einfacher bei Initiativen, für die man keinen formalen Mitgliedsantrag stellen, keinen Jahresbeitrag leisten oder zu förmlichen Versammlungen muss. Parteien sind dagegen gar nicht so weit entfernt von den Strukturen von Vereinen. Man braucht aber beides, Bewegungen und Parteien.
Wenn Sie jetzt gerade die Vereine angesprochen haben, Sie sind ja doch Mitglied von ziemlich vielen Vereinen. Ist das etwas, was man braucht, wenn man kommunalpolitisch Erfolg haben will, oder ist das tatsächlich einfach eine Besonderheit bei Ihnen?
Ich weiß nicht, ist das eine Besonderheit bei mir? Das hat sich so im Laufe der letzten Jahre ergeben. Also zum Beispiel beim TSV Wolkersdorf bin ich Mitglied, weil ich da früher Fußball gespielt habe. Bei anderen Vereinen hat sich das so ein bisschen ergeben, in jedem Jahr bin ich da irgendwo mal beigetreten, weil ich das Gefühl hatte, das finde ich gut, das unterstütze ich und da möchte ich mitreden oder mitdiskutieren. Ob das das Erfolgsrezept eines Kommunalpolitikers ist, weiß ich gar nicht. Es gibt sicherlich auch Kommunalpolitiker, die mit deutlich weniger Vereinsengagement dahin kommen, wo sie stehen. Ich sag mal so: So bin ich halt. Ich rede gerne mit den Leuten und so hat sich das dann mit den Mitgliedschaften ergeben.
Jetzt eine wichtige Frage für den Leser, und zwar, wie kann der sich denn engagieren?
Also engagieren kann man sich natürlich auf dem klassischen Weg: Die Parteien haben teilweise Jugendorganisationen in Schwabach, bei denen man sich sicher gut einbringen kann. Gleichzeitig gibt es ja auch viele verschiedene Vereine und Interessengruppen, oder auch nicht vereinsgebundene Organisationen, in denen man etwas tun kann. Zum Beispiel unsere Initiative für Demokratie, die Allianz gegen Rechtsextremismus. Es gibt aber auch andere Organisationen, die im Bereich Naturschutz aktiv sind. Man kann sich auch gewerkschaftlich engagieren, wenn man jetzt gerade in der Ausbildung ist.
Eine der zahlreichen Aufgaben von Kommunen ist die Bereitstellung von öffetnlichen Verkehrsmitteln. Quelle: pixabay.de
Sie waren von 2018 bis 2020 Regierungsrat in Ansbach. Können Sie ganz kurz beschreiben, was man so als Regierungsrat macht?
Regierungsrat ist der beamtenrechtliche Status, der zeigt, wo man in einer Verwaltungsstruktur steht. Die Tätigkeit, die ich dann unmittelbar ausgeübt habe, war Referent für Naturschutzrecht und das letztlich für ganz Mittelfranken. Da geht es um das Artenschutzrecht und vor allem um Ausnahmegenehmigungen in diesem Bereich. Aber auch um Koordinierungen wie Eingriffsregelungen bei großen Bauleitplan-Verfahren, bei großen Ausgleichsflächenverfahren und Ähnlichem. Auch die Ausweisung von Naturschutzgebieten ist da daruntergefallen, die Förderung von Landschaftspflegemaßnahmen, von Naturpärken und die Förderung von Hilfsprojekten für bedrohte Arten.
Welche Chance sehen Sie in der Politik, sowohl in Ihrem Amt als auch in anderen Ämtern, und was gibt es einem?
Man kann, wenn man hier im goldenen Saal zum Fenster herausschaut, eine Entscheidung sehen, die wir letzte Woche getroffen haben. Wir haben Gastronominnen und Gastronomen die Möglichkeit gegeben, deutlich weiter als unter üblichen Zeiten draußen zu bestuhlen, um Verluste zu kompensieren und auch der Bevölkerung die Möglichkeit zu geben, das Angebot leichter nutzen zu können. Weniger Tische heißt ja auch, dass weniger Leute dorthin kommen können. Was einem das gibt ist, dass man tatsächlich Lösungen für Probleme finden muss, aber wenn man sie findet, dann kann man gerade hier im zentral gelegenen Rathaus aus dem Fenster schauen und feststellen: Jawohl, da ist Leuten wirklich geholfen worden und das haben wir gut gemacht.
Wie erfahren Sie die Rückmeldung der Leute in Bezug auf ihre Arbeit?
Es ist ja jetzt noch ziemlich am Beginn, aber einen Teil wird man immer auch im Stadtrat sehen. Da wird mal eine kontroverse politische Diskussion losgetreten, mal kann man Themen auch allgemein im guten Konsens lösen. Die Parteien und Fraktionen im Stadtrat transportieren ja Meinungen aus der Bevölkerung in dieses Gremium hinein und das ist mir auch wichtig. Ich bekomme auch durchaus viel Post, sowohl über Facebook als auch via Mail und per normaler Post. Ich glaube, wenn ein Problem nicht richtig gelöst ist, dann bekommt man es eigentlich relativ schnell mit. Das heißt auch, man muss vielleicht umdenken und eine andere Lösung finden. Also man bekommt auf vielen Wegen mit, wie es läuft.
Was würden Sie in der Lokalpolitik ändern, nicht inhaltlich, sondern vielleicht eher strukturell, wenn Sie keine Rücksicht auf die anderen Parteien nehmen müssten?
Also die Organisation der Stadtverwaltung werden wir tatsächlich ändern: Der Bereich Umwelt, Mobilität und Klimaschutz wird in einem neuen Referat zusammengefasst. Damit wird dafür gesorgt, dass die Themen einen noch höheren Stellenwert bei uns in der Stadtverwaltung bekommen. Ich finde, das ist ein schönes Signal, da mir die Themen sehr wichtig sind.
Tom Feiler, Noel Boldin (beide Q11)
Titelbild: Jürgen Ramspeck
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Link zur Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Schwabach#/media/Datei:Schwabach_K%C3%B6nigsplatz_von_oben.JPG
Urheber: Stadt Schwabach
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