Freitagvormittag, bedeckter Himmel und Regen. Mäßiger Betrieb in der Nürnberger Innenstadt. Um 11.42 Uhr fährt die Straßenbahnlinie 8 wie jeden Tag mit Ziel Doku-Zentrum vom Marientor zum Hauptbahnhof. Plötzlich brandet lautes Geschrei auf. Eine riesige Menge junger Menschen jubelt dem Zug zu. Der Grund dafür: Die Straßenbahn gilt als klimafreundlich. An diesem 15.03. demonstrieren über 2000 Schüler ausgestattet mit Plakaten und Regenschirmen für besseren Klimaschutz. Wie in über 100 anderen Ländern schwänzten Schüler die Schule, um unter dem Motto „Fridays For Future“ auf die Straße zu gehen. Auch vom AKG waren über hundert Schüler dabei.
„Fridays For Future“ war ursprünglich ein Hashtag, unter dem zum Protest gegen die aktuelle, weltweite Klimaschutzpolitik aufgerufen wurde. Die daraus entstandene Bewegung richtet sich vor allem an Schüler und ruft weltweit zu Demonstrationen während der Schulzeiten auf. Vorbild ist die 16-jährige Schwedin Greta Thunberg, die seit dem Sommer 2018, anfangs täglich und später immer freitags, vor dem schwedischen Reichstag demonstriert und die Schule schwänzt. Die Bewegung weitete

sich von Schweden auf andere europäische Länder aus. Ende 2018 fanden erste Demonstrationen in Deutschland statt. Auch in Nürnberg versammeln sich Schüler seit Januar regelmäßig.
Am Freitag, dem 15.03.19 brechen nach der 2. Stunde viele Schüler grüppchenweise mit Plakaten ausgestattet zum Bahnhof auf. Eine Schülerin verlässt an diesem Tag nicht das erste Mal zum Demonstrieren die Schule. „Ich war auf der allerersten Demo, als noch ganz wenige davon gehört hatten. Da wusste ich auch nicht, wie groß das werden sollte“, erzählt Svenja Große am Bahnhof, die auf den Regionalexpress nach Nürnberg wartet. „Es ist echt gut, dass das jetzt so schnell so groß wurde und wir damit vielleicht wirklich etwas bewegen können.“

Sie ist aber nicht die einzige, die schon vor der großen Demonstration am 15.03. in Nürnberg demonstriert hat. Nele Kreutzmann ist Mitglied in der Gruppe aus vorwiegend Oberstufenschülern, welche die Demonstrationen an unserer Schule koordiniert haben. „Dann sind wir zu dritt zur ersten hingegangen.“ Das war Ende Januar, als auch die Planungen für die Organisation am AKG begannen.
Nachdem sie und ein paar andere Schülerinnen von den Demonstrationen in Nürnberg gehört hatten, organisierten sie sich über eine Whatsapp-Gruppe, die zunächst auch für andere Demonstrationen gedacht war. Die Idee, eine Einladung in die Whatsapp-Gruppe der zwölften und später auch anderen Jahrgangsstufen zu schicken, brachte die Möglichkeit, die Demonstrationen im größeren Stil am AKG zu organisieren.
Keine gute Zukunft
„Mit dem Argument, dass man nicht mehr den Grund sieht, in die Schule zu gehen, wenn es vielleicht keine gute Zukunft gibt, in der man leben kann“ rechtfertigt Svenja die illegalerweise während des Unterrichts stattfindenden Proteste. „Klar ist es so, dass es während der Schulzeit mehr Aufregung erzeugt. Das ist ja auch ein Schulstreik.“ Lin Weißkopf aus der 10. Klasse betont, „dass das nicht mit Schule schwänzen gleichzusetzen ist.“ Tatsächlich stellen sich die Schüler an diesem Tag freiwillig in den Nieselregen. „Wäre ich in der Schule geblieben, wäre ich wieder früher zuhause gewesen. Das Streiken während des Schulunterrichts gibt gerade die Aufmerksamkeit. Ich glaube, sonst würden sich viel weniger dafür interessieren.“ Beide Schülerinnen geben aber auch zu, dass es keine Lösung ist, jeden Freitag den Schulunterricht zu verpassen. Ein Polizist, der die Demonstration begleitet, antwortet auf die Frage, was er persönlich von den Demonstrationen hält: „Ich finde es gut. Einziger Nachteil: Unterrichtsausfall.“ Auch von einigen Politikern wurde die Bewegung für den ausfallenden Unterricht kritisiert. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) forderte die Schüler dazu auf, nach der Schule zu demonstrieren. Dem „Spiegel“ sagte er: „Dann würden wir auch mehr über das Klima und weniger über die Schulpflicht diskutieren.“ Besonderen Unmut zog sich der FDP-Vorsitzende Christian Lindner zu, der die Schüler dazu aufforderte, in die Schule zu gehen und den Klimaschutz den Profis zu überlassen.
Klimaschutz für Profis
Auf der Demonstration wird dies aufgegriffen. Auf einem Plakat steht „Lindner, überlass den Klimaschutz uns Profis“. Eine AKG-Schülerin trägt ein Schild mit der Aufschrift „Der Klimawandel wartet nicht bis 12.50 Uhr“. Die Schüler werden durch einige Aktivisten „eingepeitscht“. Am häufigsten erklingen Sprüche wie „Ihr habt kein Recht, die Zukunft zu zerstören.“, „Wir wollen keine Klimaschweine!“ oder „Wir sind hier, wir sind laut,

weil ihr uns die Zukunft klaut!“ An der Lorenzkirche versammeln sich die Kundgeber um eine kleine Bühne mit zwei Lautsprechern. Die Technik ist augenscheinlich von einem blauen VW-Bus mit roter Umweltplakette und der Aufschrift „Aus dem Weg Kapitalisten!“ transportiert worden. Nachdem vor der einige Redner gesprochen haben,

setzt sich der Zug über die Lorenzer Straße und den Königtorgraben zum Bahnhof in Bewegung. Zwischendurch wird die Menge immer wieder durch die Parole „Runter für die Kohle, hoch für den Klimaschutz“ zum Auf- und Abbewegen animiert. Von dort aus geht es durch die Königstorstraße wieder in die Innenstadt zum Germanischen Nationalmuseum. „Dadurch, dass wir uns verändern, ändern wir unsere Eltern, unsere Lehrer, unsere Gesellschaft“, motiviert eine Aktivistin die Menschenmenge. Man müsse es nur wollen. „Wer nicht hüpft, der ist für Kohle“ ist ein weiterer Spruch, der die Demonstranten zur Bewegung auffordert.
AKG, Südbau, Freitag 22.02.19, 15 Uhr: In den Klassenzimmern herrscht voller Betrieb. In Gruppen verschiedenster Jahrgangsstufen arbeiten Schüler gemeinsame Projekte zum Klimaschutz aus. Ein Fünftklässler begründet seine Anwesenheit, er wolle die Situation rund um den Klimawandel verbessern und etwas gegen die Verschmutzung der Weltmeere unternehmen. Auch er möchte am 15.03. demonstrieren gehen. Wie die anderen Schüler hat auch er einen einleitenden Vortrag dieses „wissenschaftspropädeutischen Symposiums“ angehört, den die Lehrer Pfahler und Schmidt – in ihrer Freizeit – vorbereitet hatten, bevor sich in die Gruppen aufgeteilt wurde. Die Teilnahme daran ist die Bedingung der Schulleitung, dass man für die Kundgebung befreit wird. Der Fünftklässler sieht auch eigenen Handlungsbedarf: „weniger Autofahren“ und sonst im Privaten darauf achten müsse man. Andere Schüler überlegen sich Fragen für Passanten, um deren Wissen über den Klimawandel einschätzen zu können. Simon Schreyer, der in der Runde organisierend tätig ist, erhofft sich mehr Aufmerksamkeit von den Demonstrationen, und wenn man Leute wie bei diesem Quiz darauf anspricht. Daneben ist auch das Verständnis in der Bevölkerung für das Thema und für die Schüler wichtig. Konkret fordert er Plastikverpackungen massiv zu reduzieren, beispielsweise direkt in Schwabacher Supermärkten.
Während die Schüler dort schon fleißig und engagiert über den ihren Aktionen brüten, findet in einem anderen Klassenraum noch die Aufteilung statt. Die Schüler sollen nämlich – in Gruppen, deren Findung sich dabei recht zäh gestaltet – einen Flyer zum Thema Klima- und Umweltschutz gestalten, den sie bei der Demonstration verteilen wollen. Dabei geht es um Fragen wie „Was sind die häufigsten falschen Behauptungen rund um den Klimawandel?“ und „Was kann man als Privatperson dagegen tun?“ Auch hier wird alles von den Schülern selbst organisiert, die Lehrer schauen nur gelegentlich vorbei. Bei der Frage, was die Schüler erreichen wollen, driften die Meinungen unter den Schülern teilweise zumindest in der Schwerpunktsetzung auseinander. Es ginge, sagen die einen, nicht, alles auf die Politik zu schieben und selber nichts zu machen. Die streikenden jungen Leute brächten gerade auch anderen Menschen im Idealfall zu einem Umdenken, aktiven Klimaschutz zu betreiben. Jeder Mensch müsse etwas tun, weil alle unter dem Klimaschutz leiden werden. Einem Zehntklässler, der im Atrium ein Informationsplakat zum Aufhängen in der Schule gestaltet, ist auch die Aufmerksamkeit wichtig, die man mit der Demonstration erreichen könne. Doch: „Großes erreichen kann nur die Politik. Der einzelne bringt nicht viel.“ Vor allem in der Politik sei also ein Umdenken wichtig. Trotzdem trägt er selbst zum Klimaschutz bei, indem er jeden Tag mit dem Fahrrad zur Schule fährt und keine „superbillige[n] Sachen“ kauft. Das Problem sieht er auch darin, dass die heute verantwortliche Generation die Folgen nicht mehr spüren wird.
„Die Chance, um den Verweis herumzukommen“
Das Organisationsteam für „Fridays For Future“ am AKG versuchte in Bezug auf das potentielle Schwänzen einen Weg im Einklang mit der Schulleitung zu finden. „Wir

waren beim Herrn Pinzner und wollten sehen, was er zu dem ganzen Thema sagt und ob wir überhaupt eine Chance haben, um den Verweis herum zu kommen“, erzählt die maßgeblich an der Abstimmung mit der Schulleitung beteiligte Lena Gärtner. Als Lösung, sodass der Unterricht nicht ersatzlos ausfallen oder einfach nicht besucht werden musste, einigte man sich auf einen Ersatzunterricht. Unter den Mitgliedern des Organisationsteams wird auch der Wunsch nach einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem Thema Klimawandel in der Schülerschaft deutlich. Als Lösung wurde das beschriebene

„wissenschaftspropädeutisches Symposium“ gefunden, bei dem nach einem einführenden Vortrag in kleineren Gruppen Dinge zum Klimawandel ausgearbeitet wurden. Robin Burghardt rekapituliert die Entwicklung mit dem Schulleiter: „Er ging dann direkt auf uns mit dieser Idee zu, die er davor anscheinend schon mit ein paar Lehrern ausgearbeitet hatte. Für uns war das im Endeffekt die beste Lösung, die wir bekommen konnten.“ Dass die Abstimmungen mit Herrn Pinzner produktiv waren, bestätigt Lena Gärtner: „Das hat sehr schnell funktioniert. Wir hatten am Montag das Gespräch und am Freitag hat schon das Symposium stattgefunden.“ Mia Russea lobt Herrn Pinzners Haltung als „sehr unterstützend“. „Er war offen, stand dem nicht negativ gegenüber. Es war keinesfalls so, wie es vielleicht viele erwartet hätten, dass er sagt, nein, will ich nicht.“ Die Schüler haben aber auch Verständnis dafür, dass er an rechtliche Vorgaben gebunden ist, so Lena Gärtner.
Nur Demonstrieren ist zu wenig
Auch für Herrn Pinzner ist das Thema Klimaschutz ein wichtiges: „Das ist ein Thema, welches in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt werden muss.“ In unserem Interview, das vor der Veröffentlichung von Forderungen der Bewegung in Berlin geführt wurde, kritisiert er aber auch, im Bezug auf Fridays For Future: „Ich erwarte mir auf der anderen Seite aber eigentlich mehr von den Organisatoren. Nur zu sagen, wir müssen was tun, ihr müsst was tun, ist mir zu wenig. Wenn man in einem Interview sagt, Lösungen müsst ihr jetzt finden, dann ist mir das zu wenig.“ (Gemeint ist Luisa Neubauer, Organisatorin der Demonstrationen in Berlin; Anm. d. Red.)
Das Organisatorenteam hat in Berlin am 08.04 ein Forderungspapier vorgestellt, in welchem folgende Forderungen enthalten sind:
– Reduzierung der CO2-Emissionen auf 0 bis 2035
– Kohleausstieg bis 2030
– 100% erneuerbare Energieversorgung bis 2035
Des Weiteren sollen bis Ende des Jahres alle Subventionen für fossile Energieträger eingestellt werden, 25% der Kohlekraftwerke sollen abgeschaltet werden und eine Steuer von 180€ pro Tonne ausgestoßenem CO2 soll eingeführt werden. Ziel dieser Maßnahmen ist die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5°C. Lösungen zur Erfüllung dieser Forderungen solle aber die Politik finden.
Überzogene Extremforderungen

Die Erfüllung dieser Punkte bedeutete natürlich einen gravierenden Einschnitt, die allgemeine Systemkritik auf der Demonstration in Nürnberg ging allerdings noch weiter. Ein Plakat der selbsternannten FDJ forderte die Enteignung der deutschen Autokonzerne, der Deutschen Bank und BASFs. Ein Geowissenschaftler fordert, Kerosin solle weltweit staatlich kontrolliert werden, auch

Luxusartikel, Sportwagen, SUVs und Elektrogeräte. Der Kapitalismus biete dabei kein Wirtschaftssystem, in dem der Stellenwert der Nachhaltigkeit groß genug sei
Ein Schüler des AKGs sieht durch solche und andere Extremforderungen ihr Ziel, mehr Klimaschutz, gefährdet. Er befürchtet, dass man so insgesamt weniger ernst genommen würde.
Damit die Bewegung nachhaltigen Erfolg haben kann, ist es für viele Schüler klar, dass es nicht die letzte Demonstration gewesen sein kann. Geplant ist momentan eine Demonstration nach der Schule in Schwabach, die man in Kooperation mit Schülern vom WEG und der Realschule planen möchte, so Mia Russea. „Das Interesse ist auf jeden Fall da“, sagt Johanna Feistl, ebenfalls Mitglied des Organisationsteams am Adam-Kraft-Gymnasium. Laut Herrn Pinzer ist es angedacht, den zweiten Teil des Symposiums im Juni durchzuführen, welcher sich mit den durch den Klimawandel ausgelösten wirtschaftlichen Folgen und ethisch-moralischen Fragen beschäftigen würde. „Klar ist, regelmäßig geht es nicht.“ Auch schulische Belange, wie Theateraufführungen müssen dabei natürlich bedacht werden. Eine eigene Aktion des AKG, unabhängig von den Nürnberger Organisatoren, oder der städtischen Schulen hält er auch für sehr unterstützenswert.
Noel Boldin und Sebastian E. Bauer, beide 10a